20.01.2004 – Der lange Weg zur Gesangskunst
Der lange Weg zur Gesangskunst
Artikel von Dieter Lintz,“Trierischer Volksfreund“ vom 20.01.2004
TRIER. „Singe, wem Gesang gegeben“, formulierte einst Dichterfürst Ludwig Uhland. Was aber tun, wenn das Bedürfnis zu singen größer ist als die natürliche Gabe? Für solche Fälle gibt es ausgebildete Profis wie die Trierer Gesangslehrerin Ursula Bauer.
Volle Konzentration: Ursula Bauer und Carsten Emmerich.
Foto: Hans Krämer
Carsten Emmerich schnaubt wie ein Walross. Immer wieder pustet er Luft durch die halb geschlossenen Lippen, um anschließend den Kopf an die Tür zu lehnen, die Arme baumeln zu lassen und laut „huhuhu“ zu intonieren.
Nein, wir sind nicht bei der Neuverfilmung von „The Shining“, und Carsten Emmerich ist kein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs, sondern ein grundsolider Sänger vom Chor des Trierer Stadttheaters. Aber Gesangstraining ist Leistungssport, und so erinnert sein Einstieg in die Gesangsstunde nicht von ungefähr an eine Aufwärm-Übung unter Fußball-Profis.
Nur dass es hier keinen Trainer gibt, sondern eine Trainerin. Das zehn Quadratmeter große, von Notenheften und Musikbüchern gesäumte Zimmerchen in der Eberhardstraße ist die „Coaching Zone“ von Ursula Bauer. Rund 30 Schüler zwischen 14 und 50 unterrichtet die Gesangslehrerin. Das Einzugsgebiet reicht von Koblenz bis Saarbrücken. Zum Klienten-Kreis gehören angehende Berufssänger, die sich auf Vorsingen vorbereiten ebenso wie „Amateure“, die ihre Stimme weiterbilden wollen. Oder professionelle Chorsänger wie Carsten Emmerich, die ihr Handwerkszeug verbessern.
Seine „Mitschülerin“ Monika Hecken hätte sich einen künstlerischen Beruf durchaus vorstellen können, aber Studium, Job und Kinder wiesen in eine andere Richtung. Nun probt sie Mozart-Arien „aus Spaß an der Freude“. Ein harter Job, sagt Ursula Bauer, Mozart „wirkt leicht, ist aber sauschwer“. Monika Hecken arbeitet sich durch die Koloraturen, bewältigt den Notenberg. „Sehr schön, aber das Ganze bitte jetzt mit mehr Emotionen“, fordert die Lehrerin. „Das auch noch“, kommt prompt die Antwort.
Singen ist Arbeit, Leichtigkeit stellt sich erst bei Perfektion ein. „Die Zunge ist der ärgste Feind des Sängers“, schmunzelt Ursula Bauer – ein Feind, den zu beherrschen man lernen muss.
Dass man Unterricht braucht, um sich ein Instrument anzueignen, gilt allgemein als Selbstverständlichkeit. Wer aber bekennt, dass er Geld und Zeit investiert, um seine Stimme schulen zu lassen, stößt gelegentlich auf verständnisloses Schulterzucken. Dabei ist das menschliche Gesangs-Organ komplizierter als jedes Instrument. Das beginnt beim richtigen Atmen und hört beim korrekten Bewegen der Lippen noch lange nicht auf.
Machen lässt sich vieles: Die Reichweite der Stimme nach oben und unten behutsam ausdehnen, die Artikulation verbessern, die Stimmband-Schwingungen harmonisieren. Aber bis zur wahren Gesangskunst ist es „ein langer Weg“, bekräftigt Ursula Bauer. Sie muss es wissen, ist sie mit ihrer markanten Alt-Stimme doch seit Jahren eine gefragte Konzertsängerin. Musikwissenschaft und Musikpädagogik hat sie studiert, ebenso wie das Opernfach.
Mit 30 dauerhaften Schülern lässt sich die Existenz durchaus sichern. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Lehrerin Bauer einem potenziellen Schüler davon abrät, bei ihr Unterricht zu nehmen, „weil das eine verschwendete Investition wäre“.
Carsten Emmerich hat unterdessen das warm-up beendet. „So, dann wollen wir jetzt mal unser geliebtes i üben“, gibt die Pädagogin vor. Der Sänger schaut drein, als habe ihm der Zahnarzt den Bohrer gezeigt. Aber dann wird trainiert, was das Zeug hält. Schließlich heißt es, fit zu sein, wenn die Gesangsklasse Ursula Bauer am 11. Juli in die HGT-Aula zum Festkonzert aus Anlass des zehnjährigen Bestehens einlädt.